Gastbeitrag in der WuV: Ignoranz der Großen
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Gastbeitrag in der WuV: Ignoranz der Großen

Ignoranz der Großen

Unnötige Hierarchien und der Hang zu übertriebenem Perfektionismus nehmen Werbeagenturen die Sinnhaftigkeit. Leistung und Qualität gehören den Vorstellungen der Kunden angepasst. Was läuft bei größeren Agenturen eigentlich schief, dass sie  nicht begreifen?

Der Geruch von Matebrausen und Kaffee erfüllt den Raum. Ab und zu ertönt ein leises Gähnen. Der Whiteboard-Marker füllt die Tafel mit teils kryptischem Gekritzel und ein Teil der Anwesenden versucht verzweifelt, unbemerkt den Newsfeed des Smartphones zu checken. 

Nein, wir befinden uns nicht im Vorlesungssaal einer Universität. Wir befinden uns inmitten des Kick-off-Meetings einer mittelgroßen Werbeagentur. Ein Neukunde hat die Agentur mit der Ausarbeitung eines Produktkonzepts beauftragt und neben der Möglichkeit eines neuen Bestandskunden winken zahlreiche Folgeaufträge. Verständlicherweise sprüht der Geschäftsführer der Agentur vor Elan und versucht mittels eines endlosen Monologs seinen Mitarbeitern die eigenen Vorstellungen zu vermitteln. 

Der eigentliche Projektleiter, ein langjähriger Mitarbeiter, verdreht die Augen, als zum wiederholten Male die Worte „Customer Journey“ und „360° Kampagne“ fallen. Er möchte aufstehen und lautstark entgegnen: „Wir wissen es! Es ist die gefühlt hundertste Konzeptpräsentation, die wir erstellen.“ Aber er tut es nicht. Er bleibt friedlich und genervt auf dem 150 Euro teuren Designerstuhl sitzen. Er weiß, dass allein für dieses zweistündige Meeting dem Kunden knapp 700 Euro in Rechnung gestellt werden können.

Agenturen verlieren an Bedeutung

Marc Pritchard, Marketingchef von Procter & Gamble, hat das vermeintliche Problem Anfang März dieses Jahres bereits auf den Punkt gebracht. „Die Kreativen sind von überflüssigen Managementstrukturen, Gebäuden und Gemeinkosten umgeben.“ 

Zu viel Energie würde in Telefonkonferenzen, Meetings und Offsites investiert, zuviel Zeit mit Konferenzberichten und Powerpoint-Präsentationen verschwendet werden. Und dies schwäche letztendlich die Kreativität, lösche sie aus. 

Eine mutige Behauptung, dennoch nachvollziehbar, betrachtet man das zuvor erwähnte Beispiel eines gängigen Kick-off Meetings. Insgesamt 2 Mrd. US-Dollar plant das Unternehmen im Zeitraum Juli 2016 bis Juni 2021 durch Straffung sowie Optimierung der Mediaspendings einzusparen.

Aber was genau treibt Werbeagenturen zu diesem kreativen Müßiggang, zu trägem Perfektionismus? Ist der Anspruch der Kunden in einem Maße gestiegen, dass für simple Projekte zig Varianten erstellt werden müssen, nur damit am Ende einer der Entwürfe passt? Sollten Kundenbriefings detaillierter vorbereitet werden, um zielgenauer arbeiten zu können und nicht für die Tonne zu produzieren? Vielleicht. Denn an der Qualität mag es nicht liegen. 

Es werden freche, spannende, nie dagewesene Konzepte erarbeitet. „Think outside the box“ heißt es. „Sei anders, sei mutig!“ Doch was hilft es Metzger Meier aus der Saarlandstraße? Metzger Meier braucht eine Website, er braucht ein neues Logo und eventuell ein, zwei Plakate für die Schaufenster. Was Metzger Meier nicht braucht, ist eine Rechnung über 700 Euro für ein Kick-off Meeting. 

Und auch wenn man in diesem Fall kein detailreiches Briefing erwarten kann, sollte eine anständige Agentur nicht dennoch in der Lage sein, die Leistungen entsprechend Metzger Meiers Vorstellungen anzupassen? Ich mag eine mutige Behauptung aufstellen, mag sogar auf Widerstand und Abwehr stoßen, wenn ich sage, dass Agenturen zunehmend an Bedeutung verlieren. Unternehmen richten hausinterne Marketingabteilungen ein oder suchen sich die Hilfe bei Freien. Die eigene Wahrnehmung und Gespräche mit meinem Umfeld scheinen mich in meiner These zu bestätigen.

In unserem Meetingraum, mit Blick auf den weitläufigen Innenhof der kleinen Großstadtoase, herrscht unterdessen angespannte Stimmung. Der anwesende Senior Art Director wagte es, einen groben Gestaltungsvorschlag zu verbalisieren, um damit den Monolog des Geschäftsführers in einem ruhigen Moment zum verfrühten Abschluss zu bringen. Verzweifelt versucht der Unterbrochene seine vor Zorn gerötete Stirn unter dem Deckmantel ruhig ausgesprochener Belehrungen zu verbergen. Er legt „mehr konzeptionelles Gedankengut“ nahe. Man solle sich nicht durch verfrühte Bilder limitieren lassen. „Bullshit!“, denkt der Senior Art Director.

Und hat er denn nicht recht? Hat denn nicht schon die so genannte Marshmallow-Challenge bewiesen, dass eine verkopfte Herangehensweise Nachteile mit sich bringt? 

Die  Marshmallow-Challenge ist eine Teambildungsmaßnahme, bei der die Teams in einer festgelegten Zeit aus Spaghetti, Klebeband, Bindfaden und einem Marshmallow einen möglichst hohen Turm bauen sollen. Bei Vergleichen zwischen Kindergartenkindern und Wirtschaftsstudenten stellte sich heraus, dass die Kinder im Schnitt besser abschnitten. 

Sie gingen direkt ans Werk, ohne Baupläne anzufertigen und über Details zu diskutierten. Durch einfaches Ausprobieren erschufen sie höhere Bauwerke als ihre studierenden Gegenspieler. Aber welche Lehren ziehen wir daraus? 

Ist die Erstellung eines Produktkonzepts vergleichbar mit dem Bau eines Spaghettiturms oder ist in unserem Fall tatsächlich ein verkopfter Mehraufwand von Nöten?

Mehr Demut!

Auch wenn mir Verallgemeinerungen missfallen, so bin ich doch in der unangenehmen Position, berichten zu können, dass es stets frische Akademiker waren, die hochgelobt das Team infiltrierten und mit ineffizientem Gedankengut infizierten. Ich möchte hiermit keinesfalls die Persönlichkeiten der besagten Personen angreifen. Es ist lediglich eine Kritik an einem größtenteils theoriegeprägten Hochschulsystem, welches den Studierenden ein falsches Bild der Berufswelt vermittelt. 

Studenten einer Kunsthochschule wird ein Perfektionismus abverlangt, der zu exorbitant herausragenden Ergebnissen führen kann, der aber in keinem Verhältnis zu einer effizienten und zielorientierten Arbeitsweise steht. Ob der Störer einer Werbeanzeige Himbeer-, Fuchsia- oder Zinnoberrot ist. Ob er rund, mit Zacken oder Wellen ist, mag den Gestalter eventuell in Ekstase versetzen. Unserem Metzger Meier reicht es jedoch, wenn die Kunden sehen, dass das Pfund Hackfleisch nur noch zwei Euro kostet. 

Und bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich fordere keinen Mut zur Hässlichkeit, ich verlange lediglich die Fähigkeit, in annehmbarer Zeit ansehnliche Ergebnisse zu kreieren – eine Fähigkeit, die mir unter Mediengestaltern verbreiteter scheint als bei studierten Kollegen.

Unser Kick-off-Team hat sich der prekären Meeting-Situation wegen indes in eine kurze Unterbrechung geflüchtet und während das Team Kreation bei einer Zigarettenpause im Hof dem Ärger untereinander endlich Luft lassen kann, vergräbt der Agenturchef seinen noch immer geröteten Kopf in den Händen. Gedanken wie: „Warum muss ich alles selber machen?“ oder „Gott schenke mir kompetente Mitarbeiter“, drehen sich im Karussell.

Und wenn auch meinen vorherigen Ausführungen zufolge die Schuld teilweise bei den Mitarbeitern zu suchen ist, so gilt sie in gleichem Maße einer Führungskraft. Man muss ihr abverlangen, die eigenen Mitarbeiter entsprechend zu schulen oder zu selektieren. Es müssen Wörter ausgesprochen werden, die im ersten Moment weh tun, die jedoch ehrlich und nötig sind. 

Wenn der Geist des „New Work“ schon Einzug gehalten hat, so sollte selbst die offene Kritik der Angestellten gegenüber der Hoheit kein Wunschdenken mehr sein. „Der letzte Beweis von Größe liegt darin, Kritik ohne Groll zu ertragen“, sprach Victor Hugo und träumte von einer Welt, in der Kritik nicht als unterschwellige Beleidigung wahrgenommen wird, sondern als lösungsorientiertes Werkzeug. „Scheißt auf das Meeting! Geht an die Arbeit! Ihr könnt das! Legt los, ich vertraue euch!“, höre ich im Geiste die motivierenden Rufe des Agenturchefs und träume von einem vereinenden Lächeln des Projektteams.

Doch während die Designeruhr über der Glastür des Meetingraums bereits den Feierabend verkündet, preist der Geschäftsführer unserer Agentur noch wünschenswerten Einsatz und große Aussichten an. Dass letztendlich nicht die großartige Präsentation, sondern die daraus resultierende, beträchtliche Rechnung einen Folgeauftrag ausbleiben lässt, wird im organisatorischen Stress des nächsten anstehenden Projekts untergehen.



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